Aufforstung: Wissen und Werte aus der Baumschule

Mit schnellen, gezielten Bewegungen beschneiden Nereida und Cecia die Blätter der Jungpflanzen, die in der Baumschule in Piriatí eng an eng in langen Reihen auf Tischen stehen. Hier wachsen sie heran, bis sie groß genug sind, um in die Erde gebracht zu werden. „Das Stutzen mag ich am liebsten“, sagt Cecia im Schatten der Pflanzenreihen. Anfangs hätte es sich komisch angefühlt, die Blätter zu beschneiden, doch sie hätten gelernt, wofür das Stutzen gut ist und dass es die Pflanzen stärker macht.

Nereida Garabato Viverista aus der Baumschule
Nereida Garabato Viverista aus der Baumschule

Draußen brennt die Mittagssonne, es ist Trockenzeit und durch das Wetterphänomen El Niño fällt diese in Mittelamerika derzeit extremer aus. Die Tage sind heißer, es fällt noch weniger Regen als sonst. Das macht nicht nur den Beschäftigten in der Baumschule zu schaffen, sondern auch den Setzlingen. Sie sind auf Regen angewiesen, nachdem sie in den Boden gebracht werden. Deshalb stutzen Nereida und Cecia die Pflanzen: Indem sie Oberfläche der Blätter verkleinern, sinkt der Wasserbedarf der Pflanzen und sie sind widerstandsfähiger gegen die Hitze.

„Ich habe das Gefühl, persönlich gewachsen zu sein, seit ich hier arbeite. Jeden Tag lerne ich dazu, sehe die Erfolge meiner Arbeit.“ 

Nereida Garabato

In der Baumschule in Piriatí arbeiten vor allem Frauen aus der Emberá-Gemeinschaft. Diese Beschäftigung bietet ihnen eine Alternative zur traditionellen Rolle der Hausfrau und ermöglicht ihnen durch ein faires Gehalt und eine Ausbildung eine größere Unabhängigkeit. Nereida, Mutter von zwei Kindern, und Cecia, Mutter von vieren, haben eine sichere Anstellung in einer Region, in der Jobs rar sind und die Armut entsprechend groß ist. Wie in vielen mittelamerikanischen Ländern wächst auch in Panama die Schere zwischen Armut auf dem Land und Wohlstand in der Stadt. 

Armut trotz Wirtschaftswachstum

Rund 100 Kilometer entfernt von der Baumschule säumen Wolkenkratzer das Stadtbild von Panama City. Darin wechseln sich edle Hotels und Niederlassungen weltweit agierender Unternehmen ab. Die Hauptstadt Panamas ist ein international bedeutendes Banken- und Finanzzentrum und Touristenmagnet. Nicht weit entfernt passieren auf den Panamakanal täglich rund 20 Schiffe die Schleusen zwischen Atlantik und Pazifik. In Panama – so scheint es – brummt die Wirtschaft. Und die Zahlen geben auf den ersten Blick recht: Laut dem Nationalen Institut für Statistik und Volkszählung in Panama ist die Wirtschaft im Jahr 2023 um 7,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen.

Zur Wahrheit gehört jedoch eben auch, dass die Armut in dem mittelamerikanischen Land immer extremer wird. Laut der Initiative “Panama ohne Armut” lebt ein Viertel der Bevölkerung in Armut, was 1,1 Millionen Menschen entspricht. Besonders betroffen von der extremen Armut ist die ländliche Bevölkerung in Panama: Laut Daten der Weltbank ist die Armutsquote im ländlichen Panama von 29,3 Prozent im Jahr 2022 auf 32,3 Prozent gestiegen. Auf der einen Seite das Wirtschaftswachstum in und um Panama City, auf der anderen Seite die Armut in ländlichen Regionen. 

  • Baumschule in Panama
01/XX

Keine Wahl zwischen Arbeit und Familie

Betroffen davon sind insbesondere indigene Menschen und Frauen wie Nereida und Cecia. „Jobs gibt es hier in der Nähe kaum, sondern fast nur in den Städten“, sagt Cecia. „Um dort zu arbeiten, müssten wir unsere Kinder zuhause lassen – oder ganz aus unserer Gemeinschaft wegziehen.“ Die Heimat für Arbeit in der Stadt zu verlassen, ist für viele Menschen auf dem Land die einzige Option. Doch durch die Migration droht den indigenen Völkern der Verlust kultureller Identität und Traditionen. Zudem sind auch die verfügbaren Jobs in den Städten häufig schlecht bezahlt und selten abgesichert, sodass Landflüchtlinge weiter wirtschaftlich benachteiligt bleiben.
 

Auch der Partner von Cecia arbeitet in der Stadt und kommt nur alle acht Tage nach Hause zur Familie. Nereida lebt mit ihrem Mann zusammen, er arbeitet in der Landwirtschaft und ist häufig für Gelegenheitsjobs längere Zeit unterwegs. Um die Familie zu ernähren und die Kinder in die Schule schicken zu können, sind auch Cecia und Nereida auf ein Einkommen angewiesen, müssen sich aber zeitgleich um die Familie und den Haushalt kümmern. In die Baumschule nehmen die Frauen ihre Kinder mit oder lassen tagsüber die ältesten Kinder auf die anderen aufpassen. Bei Cecia übernimmt diese Aufgabe ihre 18-jährige Tochter Yuranis. 

Cecia Ortega Viverista aus der Baumschule
Cecia Ortega Viverista aus der Baumschule

Wissen führt zu Selbstwirksamkeit

Viele Töchter, die ihre Mütter in die Baumschule begleiten, beginnen später ebenfalls dort zu arbeiten. Zu Beginn gibt es eine einmonatige Einarbeitung, erklärt Nereida. Sie lernte die verschiedene Schnittmethoden kennen, den richtigen Einsatz von Düngemitteln oder über die Eigenschaften der verschiedenen Baumarten: „Es gibt Arten, die schwächer sind, es gibt Arten, die stärker sind, es gibt Arten, die schattentolerant sind, es gibt andere, die das nicht sind, deren Blätter abfallen, wenn sie keine Sonne bekommen. Und dann gibt es Düngemittel speziell für jede Pflanze. Wenn wir ihr diese geben, kann man an den Blättern schnell sehen, dass es ihr besser geht. Dieses Wissen braucht man, wenn man mit den Pflanzen hier arbeitet“, erklärt Nereida.

Es geht bei der Arbeit in der Baumschule für die Frauen aber nicht nur um das Wissen, das vermittelt wird, sondern auch um Werte wie Selbstwirksamkeit, Unabhängigkeit und Sicherheit. Durch ein eigenes Einkommen, das über dem Durchschnittslohn in Panama liegt, sind die Frauen nicht mehr nur abhängig vom Einkommen ihres Ehemanns. Zudem profitieren die Angestellten in der Baumschule, aber auch in anderen Bereichen – zum Beispiel bei der Aufforstungsarbeit auf dem Feld – von der Sozialversicherung für die Familie. „Ich habe das Gefühl, persönlich gewachsen zu sein, seit ich hier bin. Jeden Tag lerne ich dazu, sehe die Erfolge meiner Arbeit“, sagt Nereida.
 

  • Setzlinge aus der Baumschule
01/XX

Aufforstungspraktiken lernen und weitergeben

Es geht bei der Arbeit in der Baumschule für die Frauen aber nicht nur um das Wissen, das vermittelt wird, sondern auch um Werte wie Selbstwirksamkeit, Unabhängigkeit und Sicherheit. Durch ein eigenes Einkommen, das über dem Durchschnittslohn in Panama liegt, sind die Frauen nicht mehr nur abhängig vom Einkommen ihres Ehemanns. Zudem profitieren die Angestellten in der Baumschule, aber auch in anderen Bereichen – zum Beispiel bei der Aufforstungsarbeit auf dem Feld – von der Sozialversicherung für die Familie. „Ich habe das Gefühl, persönlich gewachsen zu sein, seit ich hier bin. Jeden Tag lerne ich dazu, sehe die Erfolge meiner Arbeit“, sagt Nereida.

Für die Arbeitsbedingungen in der Baumschule wurde unser Futuro Forestal – unser langjähriger Forstpartner in Panama –mit dem CCB-Zertifikat (Climate, Community and Biodiversity Standard) ausgezeichnet, das sicherstellt, dass Landmanagementprojekte nach den besten Praktiken zur Einbeziehung der Bevölkerung durchgeführt wurden und positive Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die Erhaltung der Biodiversität haben.

Schließlich ist die Baumschule von Futuro Forestal aber vor allem ein wichtiger Bestandteil des Aufforstungsprozesses. Hier wird der Grundstein für den Generationenwald gelegt. Die Frauen aus der Baumschule und die Männer auf dem Feld tragen aktiv dazu bei, ihre Heimat wieder aufzuforsten. „Ich habe die Entwaldung unserer Heimat seit jeher miterlebt“, erinnert sich Cecia. „Früher gab es viel mehr Wald, viel mehr Tiere“, pflichtet Nereida ihr bei.

„Ich habe die Entwaldung unserer Heimat seit jeher miterlebt. Unsere Arbeit ermutigt auch andere Menschen, ihre Heimat wiederaufzuforsten.” 

Cecia Ortega

Diese Entwicklung aufzuhalten und umzukehren, erfüllt die beiden Frauen mit Stolz: „Unsere Arbeit ermutigt auch andere Menschen, ihre Heimat aufzuforsten“, so Cecia. Sie habe viele Landbesitzer und Landwirte gesehen, die angefangen haben, ihre Felder selbst aufzuforsten. Cecia, Nereida und die anderen Frauen der Baumschule gehen als Vorbild voran in ihrer Heimat. Sie haben das Wissen, das es braucht, um die entwaldeten Gebiete nach und nach wieder aufzuforsten. Eine Aufgabe, die das ganze Land eint, soll die Entwaldung laut Regierung doch bis 2030 komplett gestoppt werden. Ihren Beitrag leisten Cecia und Nereida Tag für Tag, wenn sie in der Baumschule Pflanzen stutzen, düngen und pflegen und ihr Wissen an ihre Töchter weitergeben.
 

Mehr erfahren in unserem Impact Report

ARTIKEL

Das könnte dich auch interessieren

  • Stadion im Regenwald


    Klima / Juni

    Fußball-EM: Ausgleichstreffer für das Klima

    Die Fußballeuropameisterschaft ist für Millionen von Menschen ein Highlight – nur nicht für das Klima. Wir wollen die Emissionen ausgleichen durch die…

    Mehr erfahren

  • Klima / November

    COP28 in Dubai – darum geht es auf der Klimakonferenz

    CCS, 1,5-Grad-Ziel, erneuerbare Energien – auf der Weltklimakonferenz in Dubai verhandelt die internationale Staatengemeinschaft, wie sie den Kampf…

    Mehr erfahren

  • Klima / November

    2 Grad und es wird noch wärmer – globale Temperatur auf Rekordhoch

    Die Wissenschaft warnt unablässig davor und jetzt ist es so weit: Die weltweite Durchschnittstemperatur eines einzigen Tages hat erstmals seit…

    Mehr erfahren

  • News / November

    Studie: Wälder könnten viel mehr Kohlenstoff speichern – wenn man sie nur ließe

    Als Kohlenstoffspeicher spielen Wälder eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Doch ihr Potenzial ist einer aktuellen Studie zufolge noch…

    Mehr erfahren
  • Aerial-Aufnahme von einer aufgeforsteten Fläche.


    Wald / Oktober

    Interview: Kann die Entwaldung in Panama gestoppt werden?

    Überall auf der Welt schwindet der Wald. Nur in Panama ist in den letzten Jahren mehr hinzugekommen als verloren gegangen ist. Im Interview erklärt…

    Mehr erfahren
  • Schutz des Regenwaldes durch Aufforstung


    Klima / August

    Allianz gegen die Abholzung – so lief die Konferenz der Amazonasstaaten

    Die Regenwälder rund um das riesige Amazonasgebiet in Südamerika haben großen Einfluss auf das weltweite Klima. Nun wollen die Anrainerstaaten den…

    Mehr erfahren
01/06